"Spiegel" mit Verfassungsbeschwerde zu Artikeln über Wirecard-Skandal erfolgreich
Eine Verfassungsbeschwerde des Magazins "Der Spiegel" im Zusammenhang mit Artikeln über den Wirecard-Skandal hat in Karlsruhe Erfolg gehabt. Eine Entscheidung des Münchner Oberlandesgerichts verletzt die Grundrechte auf Meinungs- und Pressefreiheit des Magazins, wie das Bundesverfassungsgericht in einem am Mittwoch veröffentlichten Beschluss erklärte. Ein früherer Wirecard-Mitarbeiter war vor dem Oberlandesgericht erfolgreich gegen Berichte über Strafvorwürfe gegen ihn vorgegangen. (Az. 1 BvR 573/25)
Der Münchner Finanzdienstleister Wirecard galt einst als deutscher Hoffnungsträger und seine Aktie als gute Investition. Dann wurde bekannt, dass Wirecard jahrelang Scheingeschäfte in Milliardenhöhe verbucht haben soll, wodurch der Umsatz künstlich aufgebläht wurde. Schließlich meldete Wirecard im Juni 2020 Insolvenz an.
Im November 2020 und im Februar 2021 veröffentlichte der "Spiegel" Artikel über den Skandal, in denen auch über den Kläger berichtet wurde. Fotos zeigten ihn unverpixelt. Er zog in München vor Gericht und forderte, dass im Zusammenhang mit Vorwürfen gegen ihn nicht so berichtet wird, dass er erkennbar sei. Seine Klage hatte vor dem Landgericht Erfolg, das Oberlandesgericht wies die Berufung des "Spiegel" zurück.
Nun muss es erneut über den Fall entscheiden. Denn der Eingriff in die Grundrechte des Magazins ist verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt, wie Karlsruhe erklärte. Das Oberlandesgericht habe bei einem der Artikel zu strenge Maßstäbe an die sogenannte Verdachtsberichterstattung angelegt.
Die Münchner Richter hatte sie für unzulässig gehalten, weil es nicht genügend Beweistatsachen gebe. Dass die Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren gegen den Kläger einleitete, reiche nicht aus. Das sah das Verfassungsgericht nun anders.
Die Zulässigkeit einer Verdachtsberichterstattung könne nicht allein davon abhängig gemacht werden, dass ein bestimmter Grad an Wahrscheinlichkeit für die Begründetheit des Verdachts spreche, erklärte es. Es verstoße gegen die Meinungsfreiheit, wenn die Presse eine Verdachtsberichterstattung nur dann veröffentlichen dürfe, wenn sie die Wahrscheinlichkeit einer Verurteilung über den Anfangsverdacht hinaus belegen könne.
Insbesondere gilt das Karlsruhe zufolge für Artikel über komplexe Straftaten aus dem Bereich der Wirtschaftskriminalität. Das Oberlandesgericht habe außerdem das Interesse der Öffentlichkeit nicht hoch genug gewichtet. Je mehr sich die Straftat von gewöhnlicher Kriminalität abhebe - durch die Art, wie sie begangen wurde, oder durch besonders schwere Folgen - desto stärker sei dieses Interesse.
Der andere Artikel wurde vom Oberlandesgericht den Karlsruher Richtern zufolge nicht ausreichend in den Kontext eingeordnet. Zu Unrecht sei es davon ausgegangen, dass er Tatsachenbehauptungen enthalte. Der Beschluss aus München wurde aufgehoben und zur neuerlichen Entscheidung zurückverwiesen.
J.Hoffmann--NRZ