Neue Rheinischezeitung - UNRWA verurteilt neue Stiftung für Hilfslieferungen im Gazastreifen

Köln -
UNRWA verurteilt neue Stiftung für Hilfslieferungen im Gazastreifen
UNRWA verurteilt neue Stiftung für Hilfslieferungen im Gazastreifen / Foto: © AFP

UNRWA verurteilt neue Stiftung für Hilfslieferungen im Gazastreifen

Nach chaotischen Szenen mit dutzenden Verletzten bei einem Verteilzentrum für Hilfsgüter im Gazastreifen hat das UN-Palästinenserhilfswerk UNRWA Hilfslieferungen durch die von den USA unterstützte neue Stiftung Gaza Humanitarian Foundation (GHF) kritisiert. "Ich halte es für eine Verschwendung von Ressourcen und eine Ablenkung von Gräueltaten", sagte UNRWA-Chef Philippe Lazzarini am Mittwoch in Japan. Bei einem Ansturm auf das Verteilzentrum der GHF im südlichen Rafah waren am Dienstag UN-Angaben zufolge etwa 47 Menschen verletzt worden, mutmaßlich durch Schüsse der israelischen Streitkräfte.

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Lazzarini verwies auf das bereits existierende System für Hilfslieferungen, "das seinen Zweck erfüllt." Die humanitäre Gemeinschaft im Gazastreifen, einschließlich UNRWA, sei bereit, die Lieferungen zu übernehmen. "Wir verfügen über die Erfahrung und die Expertise, um Menschen in Not zu erreichen", sagte Lazzarini. "In der Zwischenzeit tickt die Uhr in Richtung Hungersnot."

Am Dienstag hatten tausende Menschen ein Verteilzentrum der GHF gestürmt. Die meisten der 47 dabei verletzten Menschen hätten Schussverletzungen erlitten, erklärte der UN-Menschenrechtsbeauftragte für die Palästinensergebiete, Ajith Sunghay. Seinen Informationen zufolge habe es sich um Schüsse der israelischen Streitkräfte gehandelt. "Es waren Schüsse der israelischen Armee", sagte Sunghay.

Nach dem Ansturm auf das Verteilzentrum seien "mehr als 40 Verletzte in das Nasser Krankenhaus" im südlichen Chan Junis eingeliefert worden, erfuhr die Nachrichtenagentur AFP zudem aus medizinischen Kreisen im Gazastreifen. Die Mehrheit der Menschen sei durch israelische Schüsse verletzt worden. Mindestens ein Verletzter sei mittlerweile gestorben.

Die israelische Armee wies die Vorwürfe zurück. Israelische Soldaten hätten lediglich "Warnschüsse in die Luft abgegeben" und nur "im Gebiet außerhalb" des Verteilzentrums, sagte der israelische Oberst Oliver Rafowicz AFP. Die Schüsse seien "in keinem Fall gegen die Menschen" gerichtet gewesen.

Die US-Regierung hatte die Gründung der GHF im Zuge des zunehmenden internationalen Drucks auf Israel wegen seiner Blockade von Hilfslieferungen in den Gazastreifen verkündet. Die Hilfsorganisation begann am Montag nach eigenen Angaben mit der Verteilung von Lebensmitteln. Internationale Kritiker erklärten, mit der GHF würden die UNO und Hilfsorganisationen umgangen.

Die israelischen Luftangriffe auf den Gazastreifen hielten derweil an. Nach Angaben des von der radikalislamischen Hamas kontrollierten Zivilschutzes wurden dabei 16 Menschen getötet. Bei einem Angriff auf das Haus des Fotojournalisten Osama al-Arbeed im Gebiet Al-Saftawi nördlich der Stadt Gaza seien neun Familienmitglieder getötet worden, erklärte der Zivilschutz-Sprecher Mahmud Bassal. Al-Arbeed sei verletzt worden.

Weitere sechs Mitglieder der Familie des Journalisten wurden Bassal zufolge bei einem israelischen Angriff im Zentrum des Gazastreifens getötet und 15 weitere Menschen verletzt. Ein weiterer Mensch wurde den Angaben zufolge bei einem Angriff auf Chan Junis getötet.

Die israelische Armee erklärte auf Nachfrage von AFP, sie könne die Angaben ohne genaue geographische Koordinaten nicht kommentieren.

International nahm indes die Kritik an Israel weiter zu. Eine Gruppe von fast 380 britischen und irischen Schriftstellern, darunter Zadie Smith und Ian McEwan, verurteilten in einem offenen Brief den "Völkermord" im Gazastreifen und drängten auf eine Waffenruhe. Die Verwendung des Völkermordbegriffs in Bezug auf Israels Vorgehen im Gazastreifen stehe mittlerweile bei "internationalen Rechtsexperten und Menschenrechtsorganisationen nicht mehr zur Debatte". Am Dienstag hatten etwa 300 französischsprachige Schriftsteller, unter ihnen zwei Nobelpreisträger, bereits von einem "Völkermord" an der Bevölkerung des Gazastreifens gesprochen.

In Paris färbten mehrere internationale Hilfsorganisationen das Wasser eines Brunnens blutrot, um einen "Völkermord" im Gazastreifen anzuprangern. Vor dem Auswärtigen Amt in Berlin protestierten neun im Gazastreifen tätige Hilfsorganisationen, darunter Ärzte ohne Grenzen und die Diakonie Katastrophenhilfe, gegen die GHF. Das neue System für die Verteilung von Hilfslieferungen "untergräbt die Unabhängigkeit und Neutralität humanitärer Hilfe", hieß es in einer gemeinsamen Erklärung.

Auch aus Brüssel wurde das israelische Vorgehen scharf kritisiert. Die EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas nannte die "anhaltenden Angriffe auf zivile Infrastruktur" im Gazastreifen durch die israelische Armee "inakzeptabel". Der "unverhältnismäßige Einsatz von Gewalt und der Tod von Zivilisten können nicht toleriert werden".

Der Gaza-Krieg war durch den Großangriff der Hamas und mit ihr verbündeter Kämpfer auf Israel am 7. Oktober 2023 ausgelöst worden, bei dem nach israelischen Angaben rund 1210 Menschen getötet wurden. 251 Menschen wurden als Geiseln in den Gazastreifen verschleppt.

Als Reaktion auf den Hamas-Überfall geht Israel seither massiv militärisch im Gazastreifen vor. Dabei wurden nach Angaben des von der Hamas kontrollierten Gesundheitsministeriums bislang mehr als 54.000 Menschen getötet.

G.Werner--NRZ