

Erste Hilfslieferungen erreichen Gazastreifen nach Öffnung humanitärer Korridore durch Israel
Nach heftiger internationaler Kritik an der katastrophalen humanitären Lage im Gazastreifen hat Israel die Ausweitung von Hilfslieferungen über humanitäre Korridore in dem Palästinensergebiet gestattet. Am Sonntagmorgen verkündete die israelische Armee im Onlinedienst Telegram eine "taktische Pause" ihres Militäreinsatzes in Teilen des Gazastreifens, um die sichere Durchfahrt von Konvois mit Hilfsgütern zu ermöglichen. Am Samstagabend hatte die Armee bereits die Wiederaufnahme des Abwurfs von Hilfslieferungen aus der Luft über dem Gazastreifen bekannt gegeben.
Die von Israel verkündete "taktische Pause" soll nach Angaben der Armee täglich zwischen 10.00 Uhr und 20.00 Uhr in Gebieten gelten, in denen die Armee zuletzt nicht aktiv gekämpft hatte, darunter die Orte Al-Mawasi und Deir el-Balah sowie Teile der Stadt Gaza. Im gesamten Gazastreifen seien "ausgewiesene sichere Routen" eröffnet worden, um UN-Konvois und Hilfsorganisationen eine sichere Durchfahrt zu ermöglichen. erklärte die Armee.
Bereits kurz nach der Bekanntgabe der "taktischen Pause" überquerten am frühen Sonntagmorgen erste Lkw mit Hilfsgütern den Grenzübergang Rafah zwischen Ägypten und dem Gazastreifen, wie AFP-Reporter berichteten. Die Lastwagen können jedoch nicht direkt in das Palästinensergebiet fahren, sondern müssen einen mehrere Kilometer weiten Umweg über den von Israel kontrollierten Übergang Kerem Schalom machen, wo sie kontrolliert werden. Erst dann ist die Einfahrt in den südlichen Gazastreifen möglich.
Am Samstagabend hatte die israelische Armee eine Wiederaufnahme des Abwurfs von Hilfslieferungen über dem Gazastreifen bekannt gegeben. Die abgeworfenen Lieferungen enthielten demnach Mehl, Zucker und Lebensmittelkonserven. Israel habe seine Entscheidung zur Wiederaufnahme des Hilfsgüter-Abwurfs mit den Vereinten Nationen und internationalen Organisationen abgestimmt, um "den Umfang der humanitären Hilfen für den Gazastreifen zu erhöhen", erklärte die israelische Armee. Die neuen Maßnahmen widerlegten "die falsche Behauptung des absichtlichen Aushungerns im Gazastreifen", betonte die Armee.
Die Regionalchefin der Hilfsorganisation Oxfam, Buschra Chalidi, bezeichnete die Entscheidung Israels als "willkommenen ersten Schritt". Ein paar Lastwagen und Luftabwürfe reichten jedoch nicht aus, um die drohende Hungersnot zu verhindern, sagte Chalidi der Nachrichtenagentur AFP. "Was wir brauchen, ist echte humanitäre Hilfe: Einen Waffenstillstand, offene Grenzübergänge und einen stetigen Hilfsfluss im großen Maßstab."
Wegen der verheerenden Lage im Gazastreifen war Israel in den vergangenen Tagen unter zunehmenden Druck geraten. Mehr als hundert Hilfsorganisationen hatten zuletzt vor einem "massenhaften Verhungern" in dem Palästinensergebiet gewarnt. Deutschland, Frankreich und Großbritannien hatten am Freitag eine Aufhebung aller Beschränkungen für humanitäre Hilfslieferungen in den Gazastreifen gefordert. "Die humanitäre Katastrophe, die wir derzeit im Gazastreifen beobachten, muss jetzt enden", hieß es in einer gemeinsamen Erklärung von Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU), Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und Großbritanniens Premier Keir Starmer.
Die israelische Regierung wirft der islamistischen Palästinenserorganisation Hamas vor, die Verteilung von Hilfsgütern im Gazastreifen zu behindern, die humanitären Lieferungen plündern und Nahrungsmittel zu überhöhten Preisen zu verkaufen. Die Hamas wiederum beschuldigt die israelischen Armee, in der Nähe von Verteilzentren regelmäßig auf Hilfesuchende zu schießen.
Der Krieg in dem Palästinensergebiet war durch den Großangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 ausgelöst worden. Dabei wurden nach israelischen Angaben mehr als 1210 Menschen getötet und 251 als Geiseln in den Gazastreifen verschleppt. Noch immer werden 49 Geiseln von den Islamisten festgehalten, mindestens 27 von ihnen sind nach israelischen Angaben bereits tot.
Als Reaktion auf den Hamas-Angriff geht Israel seither massiv militärisch in dem dicht besiedelten Küstenstreifen vor. Dabei wurden nach Angaben der Hamas-Behörden bislang mehr als 59.600 Menschen getötet. Die Zahlen können nicht unabhängig überprüft werden, die UNO stuft sie aber als glaubwürdig ein.
D.Seifert--NRZ